Kleine Systeme für eine große Zukunft

14.06.2017

Spuren im Sand
Die Mikro- und Nanoelektronik bildet das Rückgrat der Digitalisierung. In einem Transformationsprozess, der alle Lebensbereiche durchdringt, gilt es sich auf seine Stärken zu besinnen, um die Veränderung aktiv gestalten zu können. Kärntner Unternehmen und Forschungseinrichtungen gestalten die Welt von morgen. Die kleinen Systeme bilden die Grundlage für eine große Zukunft. Experten schildern, was uns dort erwartet…

Die LED-Lampe im Wohnzimmer einschalten, auf dem Smartphone die neusten Nachrichten lesen, über Photovoltaikanlagen die Energie der Sonne nutzen, mit dem Auto den Weg zum Ziel finden – ohne Mikroelektronik und generell ohne elektronikbasierte Systeme wäre all das nicht möglich. „Was funktioniert denn überhaupt noch ohne Mikroelektronik und Nanoelektronik? Elektronische Systeme sind heute unverzichtbar“, erläutert DI Johann Massoner, Director Innovation Management & Funding bei Infineon. Tatsächlich sind diese Technologien und deren konkrete Anwendungen nicht nur für unseren Alltag längst selbstverständlich, sondern werden für die österreichische Wirtschaft – und damit für das ganze Land – zunehmend zu einem Schlüsselbereich mit großem Wachstumspotenzial: Sie bieten die Chance, international wettbewerbsfähig zu bleiben und sogar einen Vorsprung gegenüber anderen Ländern zu schaffen, was gerade in einem Land mit hohen sozialen Ansprüchen und entsprechender Lohnstruktur von Bedeutung ist.

Notwendig für Digitalisierung
Mikroelektronik geht Hand in Hand mit den großen technologischen Fortschritten unserer Tage und kann daher zu Recht als Schlüsseltechnologie bezeichnet werden. Univ.-Prof. DI Dr. Hubert Zangl vom Institut für Intelligente Systemtechnologien der Fakultät für Technische Wissenschaften der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, beschreibt die Vision: „Eine Welt, in der Maschinen und Objekte intelligent werden und miteinander kommunizieren.“ Damit können Services und Informationen zur Verfügung gestellt werden, um für Umwelt, Ressourcen und vor allem für die Menschen größtmöglichen Nutzen zu bringen. „Das schließt mit ein, dass diese Systeme einfach zu bedienen und in jeder Hinsicht sicher sind“, betont Zangl. Dr. Hannes Voraberger, Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung der AT&S-Gruppe, präzisiert die Stoßrichtung: „Wenn wir über Mikroelektronik sprechen, dann unterhalten wir uns automatisch auch über das Thema Digitalisierung.“ Und diese Digitalisierung verändert unser Leben bereits jetzt und wird es in Zukunft noch mehr tun. „Sie hält Einzug in alle unsere Lebensbereiche, sei es nun Smart Home, Smart Production oder Digital Workplace.“ In all diesen Bereichen stehen wir aber gerade erst am Anfang der Möglichkeiten. DI Dr. Klaus Bernhardt, MBA, Leiter Forschung und Entwicklung im Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie (FEEI), illustriert es anhand eines Beispiels: „In Fahrzeugen gibt es immer mehr Elektronik. Unternehmen im Bereich EBS (Electronic Based Systems – elektronikbasierte Systeme) helfen somit Österreich, weiterhin ein starker Zulieferer für die Autoindustrie zu bleiben.“

Visionen sind das eine, die Umsetzung in die wirtschaftliche und gesellschaftliche Realität das andere. DI Peter Caldera, Head of System Verification for Communication Products bei Intel in Villach, beschreibt die Realität hinter den „großen Schlagwörtern“ wie Mobilität und Industrie 4.0 wie folgt: „Wenn man das herunterbricht, sind wir mit einigen wichtigen Herausforderungen konfrontiert, unter anderem mit der exponenziellen Zunahme des Datenvolumens, der fortschreitenden Vernetzung unserer Geräte und dem Trend, ständig online zu sein.“ Oder wie es Intel-CEO Brian Krzanich vor kurzem ausgedrückt hat: Daten sind das neue Öl – dementsprechend ergeben sich auch neue Geschäftsfelder und somit gleichzeitig Geschäftschancen. Hubert Zangl sieht allerdings auch Gefahren hinter dem Trend: „Ein Risiko liegt darin, dass Hausaufgaben nicht sorgfältig gemacht werden und schlechte Produkte den Markt erreichen.“ Das könnte das Vertrauen in den technischen Fortschritt bremsen und letztlich die Innovationsleidenschaft negativ beeinflussen. Daher müsste man Methoden und Werkzeuge entwickeln, um das zu vermeiden – wobei die Ausbildung in Zukunft eine entscheidende Rolle spiele, damit auch die praktische Anwendung dieser Tools ermöglicht werden könne.

Forschungsintensives Feld
Welche Rolle hat die Forschung in diesem Zusammenhang? Klaus Bernhardt meint: „EBS ist ein extrem forschungsintensives Feld.“ Unternehmen in diesem Bereich kommen auf eine F&E-Quote von rund 20 Prozent. Johann Massoner hält kooperative Forschung vor diesem Hintergrund für wichtig. „Es ist gut, mit wichtigen Partner zusammenzuarbeiten, ohne sich gegenseitig Konkurrenz zu machen.“ Denn das geschehe in den USA und in Asien ebenfalls, daher müsse diese Strategie auch in Europa umgesetzt werden. „Mit CTR (Carinthian Tech Research) haben wir einen sehr validen Partner, der wertvolle Kernkompetenzen besitzt“, betont er. Auch Hubert Zangl von der Alpen-Adria-Universität stellt das Gemeinsame in den Vordergrund: „Eine wichtige Komponente ist die Betrachtung der gesamten vertikalen Wertschöpfungskette und daher ist für unser Institut die Vernetzung mit Forschungs- und Industriepartnern unerlässlich.“ Dadurch könne man sich auf das eigene Stärkefeld konzentrieren und gemeinsam mit Partnern dennoch ein großes Feld abdecken.

Auch auf Unternehmensseite sind Forschungskooperationen wichtig, wie Hannes Voraberger sagt: „Sie sind das Um und Auf für AT&S in Hinblick auf Theorie und auch Praxis, wenn es an das Industrialisieren geht, also die Serienproduktion von neuen Entwicklungen.“ Langjährige Kooperationen haben diese Zusammenarbeit gefestigt und es würden immer wieder neue Projekte entstehen, teils auch im internationalen Kontext. Peter Caldera sieht aber auch ein Spannungsfeld, das man berücksichtigen muss: „Bei der Forschung stellt sich die Frage, wo man sich in die Quere kommen könnte.“ Wichtig sei aber jedenfalls eine Verdichtung entlang der Wertschöpfungskette.

Stärken ausbauen
Doch wie kann sich ein kleines Land wie Österreich bei diesen Themen in Zukunft international positionieren? Die Experten sind sich einig, dass zwei Faktoren wichtig sind: Fokus auf die Stärken und gemeinsames Arbeiten. Peter Caldera von Intel benennt diese Stärkefelder: „In Österreich haben wir sehr gutes Know-how in den Bereichen Sensorik, Hochfrequenz und Leistungselektronik, aber auch bei Safety, Security und Privacy.“ Auch Johann Massoner meint, Österreich müsse sich auf bestimmte Bereiche spezialisieren. „Überall ein wenig mitzumischen wird nicht möglich sein.“ Als Beispiel für ein Stärkefeld sieht auch er die Sensorik. Der zweite große Punkt ist die Vernetzung: Für Caldera wäre es wünschenswert, dass sich die Unternehmen in Österreich noch besser vernetzen. „Dies könnte ein enormer Vorteil gegenüber anderen Standorten sein und auch wesentlich einfacher klappen als etwa in Deutschland, bedingt durch die kurzen Wege.“ Das kann Hannes Voraberger nur unterstreichen: „Um das für die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Österreich wichtige Thema Mikroelektronik an wesentlicher Stelle zu besetzen und auf dem globalen Markt zu bestehen, müssen wir unsere Kräfte bündeln.“ Ein Schritt dazu ist die Initiative Silicon Austria, meinen die Experten unisono. Dabei handelt es sich um eine Initiative des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) und österreichischer Unternehmen. Ihr Ziel ist es, dass Österreich als Standort für die Elektronikindustrie noch attraktiver wird.

Fokus auf die Stärken und Vernetzung sollen es also möglich machen, dass Österreich vom Trend Mikroelektronik und EBS möglichst stark profitiert – es kommt aber noch ein anderer Faktor ins Spiel: Wo genau stehen die Unternehmen? „Auf Seite der Komponenten sind wir in Österreich dank Unternehmen wie Epcos, NXP, AMS, Intel, AT&S und Infineon sehr gut“, betont Candera. Aber Österreich müsste in der Wertschöpfungskette noch weiter hinaufkommen, also Systemintegratoren und darauf aufbauende Services anbieten. Hannes Voraberger beschreibt die nahe Zukunft: „Die totale Konnektivität aller Dinge mit entsprechend hohen Datenvolumen und -geschwindigkeiten wird der bestimmende Trend in der Elektronikindustrie.“ Wer in diesem Umfeld – egal ob als OEM oder als Teil der Elektronikwertschöpfungskette – eine führende Rolle einnehmen möchte, müsse die Entwicklungen antizipieren. „Das bedeutet enorme Entwicklungs- und Wachstumschancen im Hinblick auf Technologie und Positionierung, aber auch den entsprechenden Finanzkennzahlen.“ Man müsse alles daran setzen, dieses Zukunftsthema in Europa weiterhin an wesentlicher Stelle zu besetzen – „sonst wird der Digitalisierungszug ohne uns abfahren“, warnt Voraberger.

Die Auswirkungen werden wieder alle betreffen, wie Hubert Zangl beschreibt: „Es werden eine engere Verbindung zwischen den Unternehmen und den Kunden ermöglicht und darauf aufbauend auch neue Geschäftsmodelle.“ Unternehmen können dann viel gezielter auf geänderte Anforderungen reagieren und ihre Produkte und Dienstleistungen anpassen. Unter dem Stichwort Industrie 4.0 kommt es ja gerade zu einer Revolution der Prozesse und damit der gesamten Wirtschaft – und dabei sind Kosten und Geschwindigkeit die wichtigsten Faktoren. „Es geht um konkurrenzfähige Preise und die Möglichkeit, mit neuen Produkten und Dienstleistungen rechtzeitig auf den Markt zu kommen“, sagt Massoner.

Das Ziel: Auch in Zukunft soll das Qualitätsmerkmal „Made in Austria“ in möglichst vielen Anwendungsbereichen der Mikroelektronik zu finden sein.

(Dieser Beitrag wird mit freundlicher Genehmigung der CTR Carinthian Tech Research veröffentlicht.)

14.06.2017

Spuren im Sand